Erzählungen und Bilder in Acrylfarben

The Judas Chronicles – Religiöse Erzählung über Glaube und Verrat

Eine dunkle, spirituelle Geschichte über Schuld, Glauben und Vergebung. Zwischen biblischem Motiv und moderner Selbstsuche – ein literarischer Blick in die Seele.

A dark and spiritual story about faith, guilt, and redemption.

Blending gothic mood with modern reflection – a tale of divine silence and human weakness.

Das Geheimnis des Antiquars

(der Vampir von Bardowick)

Christos Coulouris

 Das Klagelied

Oh, Schicksal, grausam bist du, unerbittlich,

dein Stempel ruht auf meiner Seele schwer.

Ein Judas, einst geliebt, nun fluchbelichtet,

zum Schatten ward ich, ferne Lichtes Heer.

Im Nebel Londons, kalt und voller Nacht,

schreit Schuld, ein Chor, der nie zur Ruhe kam.

Mein Herz, ein Buch von Sünden vollgemacht,

trägt Wunden tief, von Schmerz ein blut’ger Kamm.

Ihr Sterblichen, ihr kennt nicht dieses Dasein,

von Durst gepeinigt, ewig ohne Rast,

gebannt zu wandeln, doch nie heimzugehn,

mein Geist zerschlissen, meine Hoffnung fast.

In Magdalenas Blick, ein sanftes Glühen,

erblüht der Funken, den Verzweiflung frisst.

Ihr Herz, so rein, lässt Geistermächte mühen,

und dennoch seh ich, dass sie Opfer ist.

Oh Himmel, gib mir Kraft, mein Fluch, mein Grauen,

den Kreis des Dunkels brechen will ich heut.

Denn wer das Licht berührt, kann Dunkel schauen,

und meine Schuld verlangt nach deinem Geleit.

Doch Seraphs Schwingen, feurig, himmelwärts,

sie mahnen mich: Vergib dir selbst zuerst.

Ein Schatten bleib ich, doch in meiner Brust

ein neuer Klang – der Sehnsucht heil’ge Lust.

So rufe ich, oh Zeit, dein Gnadenwort,

auf dass mein Schritt sich einst ins Frieden lenkt.

Doch bis zum Ende bin ich selbst mein Ort,

vom Kreuzeslicht, das nicht für mich gesenkt.

Einleitung

 Das Antiquariat

Es regnete, als sie das Antiquariat zum ersten Mal betrat. Die Tropfen klangen wie ein altes Metronom auf dem Blechdach, während der Duft von Pergament, Leder und Vergangenheit durch den Raum schwebte.

„Willkommen in der Sammlung verlorener Wahrheiten,“ sagte der alte Mann hinter dem massiven Tresen. Sein Blick war wach, seine Stimme tief und samtig, wie schwarzer Wein. Sein Name, so stellte er sich vor, war Jud Low – Antiquar, Historiker, Sammler. Niemand ahnte, dass dieser Mann einst als Judas Iskariot bekannt war.

In den dunklen Regalen hinter ihm standen Werke, die längst aus den Erinnerungen der Welt gefallen waren. Einige Bände atmeten Staub, andere Dunkelheit. Und einer davon, ein gebundenes Buch mit dem Titel „Der Vampir von Bardowick“, war der Schlüssel zu seiner eigenen Verdammnis.

„Manche Geschichten“, sagte er, während er das Buch mit vorsichtigen Fingern öffnete, „sollten nicht erzählt werden. Aber es gibt Nächte… da schreit das Gewissen lauter als der Tod selbst.“

Und so beginnt er zu erzählen – von Schuld, von Blut, von ewiger Wanderschaft. Von Bardowick, Lüneburg, und den Schatten, die nie ruhen.

 Der Verrat und das Erwachen

Ich war tot. Davon war ich überzeugt, als ich fiel. Der Strick um meinen Hals spannte sich, der Boden wich zurück, und die Dunkelheit umhüllte mich wie ein Mantel aus Schuld und Reue. Ich, Judas Iskariot, hatte das unaussprechliche getan. Ich hatte den einen verraten, den man später Sohn Gottes nannte. Für Silber. Für Zweifel. Vielleicht auch aus Angst vor dem, was seine Wahrheit in mir zum Klingen brachte.

Ich weiß nicht, wie lange ich in der Finsternis war. Es gab keine Zeit dort, nur das Flüstern meiner eigenen Verzweiflung. Ich hatte gehofft, dass der Tod Erlösung sei – aber für einen wie mich gab es keine Gnade. Stattdessen: Erwachen.

Ich kam zurück. Nicht in Jerusalem. Nicht im warmen Licht des Morgenlandes. Sondern in der Hitze einer anderen Hölle: Jerusalem im Jahr 1191 – eine Stadt im Blutrausch der Kreuzzüge. Ich war ein anderer. Mein Gesicht, mein Name, meine Sprache – alles neu. Und doch war es immer noch ich. Die Schuld, die mich getragen hatte, war nicht verloschen. Sie war tiefer geworden, hatte Wurzeln geschlagen in meiner Seele.

Sie nannten mich Christopher de Lamote. Ich trug das Kreuz der Templer. Ein Spott, den ich mit bitterem Stolz ertrug. Ich kämpfte, mordete, verbrannte Städte – alles im Namen des Glaubens, dem ich einst das Herz ausgestochen hatte. Ich suchte den Tod in jedem Gefecht, aber er kam nicht. Stattdessen kam sie.

Ich erinnere mich an ihren Blick – wie dunkles Wasser, in dem man ertrinken konnte. Sie war eine Tänzerin, ein Schatten zwischen den Zelten, in jener Nacht, als der Wein floss und die Sieger sich als Götter fühlten. Ich war berauscht, müde, und voller jener Leere, die mich seit meiner "Wiedergeburt" begleitete.

Sie sprach kaum. Ihre Augen sagten genug. Ich folgte ihr. In eine Ruine, fort vom Fest. Und dort, in der Stille, lächelte sie.

"Du suchst das Ende," flüsterte sie. "Ich schenke dir die Ewigkeit."

Ich spürte den Biss, bevor ich ihn verstand. Ihre Zähne schnitten durch meine Haut, und mein Blut brannte, als würde es sich gegen mich selbst wenden. Ich wollte schreien, aber der Laut erstickte in mir. Ich fühlte mich fallen – nicht körperlich, sondern in etwas Tieferes. In eine Leere, aus der ich nie wieder entkommen sollte.

Als ich erwachte, war sie tot. Ihr Kopf lag neben ihrem Körper. Ich hatte sie getötet – ich weiß nicht wie. Vielleicht aus Wut. Vielleicht aus Angst. Vielleicht, weil ich glaubte, es könne mich retten. Aber der Fluch war in mir. Ich war nicht mehr lebendig. Aber auch nicht tot. Ich war etwas anderes geworden.

Ein Vampir, würden die Menschen sagen. Aber das ist zu einfach. Ich war ein Mahnmal. Ein Wanderer durch die Zeiten, geboren aus Verrat, getauft in Blut, verdammt zur Erinnerung.

Und so begann mein zweites Leben. Das lange Leben. Das Leben als Schatten, als Richter, als Jäger und Gejagter. Ich war Christopher. Ich war Judas. Ich war niemand. Ich war ich.

Und Bardowick war mein erster Versuch, einen Sinn in der Dunkelheit zu finden...

Blutige Rache

Bardowick empfing mich mit Nebel, Schweigen und steinernen Mauern, die Geschichten flüsterten. Ich wählte diesen Ort nicht wegen seiner Schönheit, sondern wegen seiner Einsamkeit. Eine kleine Stadt, im Schatten Lüneburgs, voller Händler, Pilger – und dunkler Ecken. Ich fand dort ein altes Haus, ließ die Fenster verrammeln und lebte wie ein Gespenst unter den Lebenden.

Doch der Durst ließ sich nicht einsperren. Anfangs glaubte ich noch, Tiere würden genügen – eine Illusion. Bald streifte ich nachts durch Gassen und Wälder, und das Flüstern in meinem Kopf wurde lauter. Ich war nicht mehr Judas, der Reumütige. Ich war nicht mehr Christopher, der Krieger. Ich war Hunger, wandelnd in Menschengestalt.

Die Erinnerung an sie – die Tänzerin – brannte wie ein Dolch in meinem Innersten. Ihr Gesicht, ihr Blick, ihr Biss. Ich tötete andere, doch in meinem Zorn tötete ich sie immer wieder. Jedes Opfer war ein Schatten von ihr, ein Versuch, das zu zerstören, was sie in mir ausgelöst hatte.

Eines Nachts stand ich im Mondlicht über einem leblosen Körper – jung, schön, blass. Und ich flüsterte: "Warst du sie?" Meine Hände zitterten. Ich hatte längst vergessen, wie es sich anfühlte, jemandem in die Augen zu sehen, ohne in ihnen den Fluch zu suchen.

Ich wurde zur Legende. Der stumme Wächter, der durch die Gassen schlich. Der schwarze Ritter. Einige flüsterten von einem Engel der Nacht, andere von einem Dämon. Keiner wusste, dass beides stimmte.

Der Medicus

Ich versuchte, Heilung zu finden. Ich nannte es Hoffnung – eine weitere Lüge, die ich mir selbst erzählte. Ein Medicus lebte nahe der Stadtgrenze. Alt, wissend, neugierig. Ich besuchte ihn nachts, behauptete, an einer seltsamen Krankheit zu leiden.

"Kein Herzschlag? Kein Schlaf? Kein Appetit auf Brot oder Wein?" Seine Augen wurden groß. "Ihr seid kein gewöhnlicher Patient."

Er schnitt mir in die Haut – nichts floss. Ich sah seine Angst, und sie weckte meinen Durst. Ich tötete ihn. Nicht aus Bosheit. Aus Natur. Ich trauerte um ihn, wie ein Löwe um das Lamm.

Nach diesem Abend floh ich tiefer in die Dunkelheit. Ich wollte nicht mehr heilen. Ich wollte vergessen. Doch Erinnerungen sterben nicht. Nicht bei einem wie mir.

Ein neuer Name – Jud Low 

Die Bürde der Unsterblichkeit

Es ist seltsam, wie Zeit sich verhält, wenn man sie nicht mehr zählen muss. Für Menschen ist sie eine Linie – Geburt, Leben, Tod. Für mich ist sie ein Kreis aus Wiederholung, Verlust und Sehnsucht. Ich sehe Jahrhunderte vergehen, als wären es Atemzüge, und doch – manche Nächte ziehen sich wie ein Jahrhundert.

Ich erinnere mich an alle, die ich geliebt habe. Und an alle, die ich getötet habe. Die einen besuchen mich in Träumen, die anderen in der Stille, wenn kein Laut mehr bleibt. Ich glaube, das ist der wahre Fluch: nicht das Blut, das ich trinken muss. Sondern das Erinnern. Die Unfähigkeit zu vergessen.

Und manchmal frage ich mich: Gibt es einen Punkt, an dem selbst die Schuld müde wird?

Mit den Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten verlor ich mich in neuen Rollen. Ich war Wächter. Ich war Händler. Ich war Mörder. Und irgendwann – ich weiß nicht mehr wann – nannte ich mich Jud Low. Ein Name wie Rauch, der durch Spalten zieht.

Ich nahm Wissen auf wie andere Blut. Ich las, ich lernte, ich hörte. Ich wurde zu dem, was man heute einen Antiquar nennen würde. Und eines Tages, viel später, als der Nebel der Zeit mir erlaubte zu ruhen, traf ich auf einen Ermittler namens Piefke. Aber das ist eine andere Geschichte...

Piefke ermittelt

Ich lernte ihn kennen in einem jener Jahrhunderte, in denen ich versuchte, unter den Menschen zu sein, ohne von ihnen gesehen zu werden. Piefke war alles, was ich nie sein konnte – lebendig, neugierig, beharrlich. Ein Mensch, der glaubte, er könne Ordnung schaffen in einer Welt, die längst ins Chaos gefallen war.

Ich traf ihn in Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts. Die Stadt war laut, gierig, elektrisierend. Ich hatte dort eine kleine Buchhandlung in Kreuzberg. Alte Bände, vergilbte Landkarten, okkulte Schriften – es war die perfekte Tarnung. Die Leute hielten mich für exzentrisch. Ein Mann mit seltsamen Gewohnheiten, der nie älter wurde.

Piefke war Kriminalbeamter. Ein bärbeißiger Typ mit scharfer Zunge, aber einem unbestechlichen Gespür für das Verborgene. Er kam zu mir, weil ein Fall ihn überforderte – ein Mord mit rituellen Zügen, Blut, Symbole, Schatten. Dinge, die er nicht verstand. Dinge, die ich nur zu gut kannte.

Er fragte, ich antwortete. Zuerst vorsichtig, dann offener. Ich half ihm, nicht nur wegen des Falls. Es war... Erleichterung. Nach Jahrhunderten des Schweigens sprechen zu dürfen – selbst wenn er niemals die Wahrheit ganz erkannte.

Gemeinsam jagten wir einen Kult, der Blut opferte, um sich Unsterblichkeit zu erbitten. Ironie des Schicksals. Ich sah in ihren Ritualen verzweifelte Spiegel meiner eigenen Existenz. Und doch war ich der Jäger, nicht der Gejagte.

Piefke vermutete nie, was ich war. Vielleicht ahnte er es. Vielleicht war es ihm egal. Wir lösten den Fall. Die Täter wurden gefasst, manche... verschwanden. Ich sorgte dafür, dass das, was im Dunkeln lauerte, dort blieb.

Als er ging, sagte er: "Sie sind der seltsamste Mann, dem ich je begegnet bin. Aber wenn die Hölle losbricht, hoffe ich, Sie stehen auf meiner Seite."

Ich nickte nur. Ich stand auf keiner Seite. Ich war der Schatten dazwischen.

Der Preis der Menschlichkeit

Was ich an Piefke bewunderte, war nicht sein Verstand, sondern sein Herz. Dieses störrische, klopfende Ding, das ihn immer wieder aufstehen ließ, selbst wenn er fiel. Ich erinnere mich, wie er lachte, wie er fluchte, wie er zweifelte – alles Dinge, die mir fremd geworden waren.

Ich fragte mich damals: Ist Menschlichkeit ein Zustand oder eine Entscheidung?

Vielleicht war ich nicht mehr fähig zu fühlen wie er. Aber ich konnte ihn bewundern. Und für einen Moment, einen winzigen Moment, wünschte ich mir, ich könnte zurück.

Aber es gibt keinen Weg zurück. Nur das Weitergehen – in den Schatten, zwischen den Zeilen der Geschichte.

Das Geheimnis des Antiquars 

Ich erinnere mich gut an das Jahr, in dem ich das Antiquariat in London eröffnete. Es war eine Stadt, die alt genug war, um ihre Schatten zu bewahren, und unruhig genug, um neue Geheimnisse zu gebären. Ich hatte mich in einem unscheinbaren Haus in einer Nebenstraße eingerichtet – ein Refugium aus Holz, Glasstaub und vergessenen Geschichten.

Für die Leute war ich einfach nur Jud Low, der verschrobene Buchhändler mit dem leisen Schritt und dem altmodischen Geschmack. Niemand ahnte, dass ich schon zur Zeit der Karolinger Manuskripte gelesen hatte, während sie noch ungeschrieben waren.

Der Fall begann mit einem Fund. Eine junge Frau brachte mir eine Holzkiste, gefüllt mit Briefen und einem verstaubten Buch mit wachssiegelrotem Einband. Es war ein Erbstück, sagte sie. Etwas stimmte nicht damit – das spürte ich, kaum dass ich es berührte. Der Deckel fühlte sich zu kalt an. Die Seiten – zu lebendig.

Ich begann zu lesen. Und mit jedem Wort stieg etwas in mir auf, das ich längst vergraben geglaubt hatte: eine Erinnerung. Kein Déjà-vu. Eher ein Echo. Das Buch war kein gewöhnliches Artefakt. Es war ein Portal – zu einer Zeit, in der ich selbst zu fliehen versuchte.

Bald darauf begannen die Träume. Nächte, in denen ich in dunklen Gassen wandelte, fremde Namen flüsterte, Stimmen hörte, die längst verklungen sein sollten. Und dann geschah der erste Mord.

Ein alter Bibliothekar wurde tot in der Nähe der Kirche gefunden. Kein Blut. Nur eine ausgebrannte Wachskerze in seiner Hand und eine Zeichnung an der Wand – ein alchemistisches Symbol, das ich aus uralten Texten kannte.

Die Polizei tappte im Dunkeln. Ich nicht. Ich erkannte die Handschrift. Nicht im wörtlichen Sinn – sondern im geistigen. Ich hatte sie schon einmal gesehen. Vor Jahrhunderten. Bei einem Mann, der versuchte, das Leben zu beherrschen. Und daran zerbrach.

Ich folgte den Spuren wie ein Jäger in einem vertrauten Wald. Ich wusste, dass ich mich der Vergangenheit stellen musste. Und ich wusste: Dieses Geheimnis war nicht nur ein Rätsel. Es war ein Schlüssel. Vielleicht sogar zu meiner eigenen Erlösung.

Die Begegnung mit dem Novizen

An einem jener regnerischen Tage in London, als der Nebel die Gassen verschluckte und selbst das Gaslicht wie in Träumen flackerte, trat ein junger Mann in mein Antiquariat. Er war kaum mehr als ein Knabe, vielleicht ein Novize aus einem der Klöster, sein Mantel durchnässt, seine Hände zögerlich auf dem Türgriff.

Ich beobachtete ihn aus dem Schatten zwischen den Regalen, wie ich es mir angewöhnt hatte – nie zu direkt, nie zu neugierig, aber wachsam. Er zögerte, trat dann ein, als hätte ihn eine unsichtbare Macht hineingeschoben. Ich trat hervor.

„Willkommen“, sagte ich ruhig, meine Stimme wie aus einem alten Buch gerissen. „Was führt Sie zu mir?“

Er sah sich um, beeindruckt von den hohen Regalen, dem flackernden Kaminlicht und den zahllosen Relikten vergangener Zeitalter. „Ich... suche eine Reliquie. Für unsere Kapelle. Etwas Echtes, etwas mit Geschichte.“

Ich nickte. Das taten sie alle. Doch was er suchte, war nicht nur Geschichte – er suchte Wahrheit, vielleicht ohne es zu wissen.

Ich bot ihm Tee an, führte ihn zum Kamin. Es war ein alter Sessel, in dem schon so mancher Platz genommen hatte, der mehr suchte als nur ein Objekt. Ich erkannte in seinem Blick die Unschuld, aber auch den Hunger – nicht nach Wissen allein, sondern nach Sinn.

„Die meisten Menschen suchen das, was sie nicht verstehen“, begann ich, während ich die Teekanne füllte. „Doch nur wenige finden das, wonach sie wirklich suchen.“

Er blickte auf, sein Blick neugierig und fragend. „Und Sie? Was suchen Sie, Herr Low?“

Ich schwieg einen Moment. Die Antwort war alt, aber immer noch schmerzhaft. „Nach Vergebung... nach Erlösung vielleicht.“

Er wirkte überrascht. „Was könnte ein Antiquar verbrochen haben, dass er solch schwere Buße leisten will?“

Ich lächelte schwach. „Taten, die die Welt verändern. Taten, für die andere bejubelt wurden – und ich verflucht.“

Er schwieg, und ich merkte, wie seine Gedanken rasten. Er war noch nicht bereit, die Wahrheit zu erkennen – aber er hörte zu. Und das war selten genug.

Ich ließ ihn gehen mit einem alten Kreuz aus Bronze, schlicht, aber kraftvoll. Als er es berührte, zuckte er zusammen – nur ein wenig, aber ich sah es. Und ich wusste: Unser Schicksal würde sich noch einmal kreuzen. 

Die Frau im Nebel

Eines Nachts, als der Nebel dicht über den Straßen hing und selbst die Gaslaternen wie verschwommene Schatten im Dunst glommen, durchstreifte ich die düsteren Ecken von Whitechapel – einem Viertel voller verzweifelter Seelen und verlorenem Leben. Die Atmosphäre war gespenstisch, und mein Durst pochte in meinen Adern. Ich fühlte mich wie ein Raubtier, eingekerkert in einem Körper, der gegen seine eigenen Instinkte kämpfte.

Doch ich war nicht nur ein blutrünstiges Wesen. Ich war auch ein Seher, ein Prophet, wie sie mich einst nannten. Mit meinem alten Wissen konnte ich die Schicksalsfäden der Menschen erahnen. Manchmal erblickte ich in ihren Augen kurze Visionen ihrer Zukunft – ein plötzlicher Tod, eine unheilvolle Krankheit, ein Verrat. Es tat mir weh, solche Schicksale zu sehen und nicht eingreifen zu können. Doch wie konnte ein Wesen der Dunkelheit das Licht zurückbringen?

An diesem Abend spürte ich eine besonders starke Präsenz. Eine junge Frau – schön, aber gebrochen – irrte ziellos durch die Straßen. Ihr Blick war leer, ihre Lippen bebten, als spräche sie zu einer unsichtbaren Macht. Ich spürte es sofort: Eine dunkle Kreatur hatte sich in ihr eingenistet, ein gefallener Engel, der an ihrer Seele zehrte.

Ich beobachtete sie lange, hin- und hergerissen. Ich fühlte Mitgefühl für sie – ein Gefühl, das ich kaum noch kannte. Schließlich trat ich vor sie. Meine Stimme war sanft, ein leiser Windstoß in der Stille der Nacht.

„Du bist verflucht,“ sagte ich, mehr zu mir selbst als zu ihr. „So wie ich. Ein Spielball der Dunkelheit.“

Sie sah mich an, mit weit geöffneten Augen, als könne sie durch meine Hülle hindurchblicken. Für einen Moment glaubte ich, sie erkannte, was ich war. Oder vielmehr, wer ich einst gewesen war.

Ich ließ sie ziehen. Ich hatte keine Macht über das, was sie in sich trug – nicht an diesem Abend. Doch sie hinterließ in mir eine Wunde, die nicht blutete, aber brannte.

Ich wanderte weiter, bis ich in einer Gasse eine alte Frau fand, halb verhungert, dem Tod nahe. Ihre Augen erkannten mich, als wäre ich jemand, auf den sie gewartet hatte.

„Mein Lieber,“ flüsterte sie, „bist du gekommen, um mich zu holen?“

Ich kniete mich zu ihr. Ihre Stimme war schwach, aber ihr Geist war klar. Ich gab ihr das, was ich geben konnte – ein Ende in Würde. Mit einer Sanftheit, die ich kaum noch in mir vermutete, trank ich ihr verbliebenes Leben, nicht aus Gier, sondern als letzte Gnade.

Es war der erste Moment seit Jahrhunderten, in dem mein Hunger und mein Mitleid nicht im Widerspruch standen.

Doch als ich mich abwandte, kehrte die Unruhe in mein Herz zurück. Ich dachte an die junge Frau – an ihren Blick, ihre Worte, ihren Schatten. Ich wusste, sie würde mich wiederfinden. Und vielleicht – vielleicht war sie der Schlüssel.

Here begins the Englisch version

Introduction

 The Antiquarian Bookshop

It was raining when she entered the antique bookshop for the first time. The raindrops sounded like an old metronome on the tin roof, while the scent of parchment, leather and the past wafted through the room.

"Welcome to the collection of lost truths," said the old man behind the massive counter. His gaze was alert, his voice deep and velvety, like black wine. His name, he introduced himself, was Jud Low – antiquarian, historian, collector. No one suspected that this man was once known as Judas Iscariot.

On the dark shelves behind him stood works that had long since fallen from the world's memory. Some volumes breathed dust, others darkness. And one of them, a bound book entitled "The Vampire of Bardowick," was the key to his own damnation.

"Some stories," he said as he opened the book with careful fingers, "should not be told. But there are nights... when conscience screams louder than death itself."

And so he begins to tell his tale – of guilt, of blood, of eternal wandering. Of Bardowick, Lüneburg, and the shadows that never rest.

The betrayal and the awakening

I was dead. I was convinced of that as I fell. The rope around my neck tightened, the ground receded, and darkness enveloped me like a cloak of guilt and remorse. I, Judas Iscariot, had done the unspeakable. I had betrayed the one who would later be called the

Son of God. For silver. For doubt. Perhaps also out of fear of what his truth stirred in me.

I don't know how long I was in the darkness. There was no time there, only the whispering of my own despair. I had hoped that death would be salvation – but for someone like me, there was no mercy. Instead: awakening.

I came back. Not to Jerusalem. Not to the warm light of the Orient. But to the heat of another hell: Jerusalem in 1191 – a city in the bloodlust of the Crusades. I was a different person. My face, my name, my language – all new. And yet it was still me. The guilt that had carried me was not extinguished. It had grown deeper, taking root in my soul.

They called me Christopher de Lamote. I wore the cross of the Templars. A mockery I bore with bitter pride. I fought, murdered, burned cities – all in the name of the faith I had once ripped the heart out of. I sought death in every battle, but it did not come. Instead, she came.

I remember her gaze – like dark water in which one could drown. She was a dancer, a shadow between the tents, on that night when the wine flowed and the victors felt like gods. I was intoxicated, tired, and filled with the emptiness that had accompanied me since my "rebirth".

She hardly spoke. Her eyes said enough. I followed her. Into a ruin, away from the celebration. And there, in the silence, she smiled.

"You seek the end," she whispered. "I give you eternity."

I felt the bite before I understood it. Her teeth cut through my skin, and my blood burned as if it were turning against me. I wanted to scream, but the sound choked inside me. I felt myself falling – not physically, but into something de ly deeper. Into a void from which I would never escape.

When I awoke, she was dead. Her head lay next to her body. I had killed her – I don't know how. Maybe out of anger. Maybe out of fear. Maybe because I believed it could save me. But the curse was inside me. I was no longer alive. But I wasn't dead either. I had become something else.

A vampire, people would say. But that's too simple. I was a memorial. A wanderer through time, born of betrayal, baptised in blood, condemned to memory.

And so began my second life. The long life. Life as a shadow, as a judge, as a hunter and the hunted. I was Christopher. I was Judas. I was nobody. I was me.

And Bardowick was my first attempt to find meaning in the darkness... 

Bloody revenge

Bardowick welcomed me with fog, silence and stone walls that whispered stories. I chose this place not for its beauty, but for its solitude. A small town, in the shadow of Lüneburg, full of merchants, pilgrims – and dark corners. I found an old house there, had the windows boarded up and lived like a ghost among the living.

But thirst could not be locked away. At first, I believed that animals would suffice – an illusion. Soon I was roaming the alleys and forests at night, and the whispering in my head grew louder. I was no longer Judas, the remorseful one. I was no longer Christopher, the warrior. I was hunger, walking in human form.

The memory of her – the dancer – burned like a dagger in my heart. Her face, her gaze, her bite. I killed others, but in my rage I killed her over and over again. Each victim was a shadow of her, an attempt to destroy what she had unleashed in me.

One night, I stood in the moonlight over a lifeless body – young, beautiful, pale. And I whispered, "Was it you?" My hands trembled. I had long forgotten what it felt like to look someone in the eyes without searching for the curse in them.

I became a legend. The silent guardian who crept through the alleys. The black knight. Some whispered of an angel of the night, others of a demon. No one knew that both were true.